Hofarchiv: Vertelsel

Nachtwache im Stall

Auszug aus der Sammlung "Im Jugendparadies"

Wenn eine Sau ferkelte, mußte eine Nachtwache gestellt werden. Es kam vor, daß Sauen sich beim Umdrehen, Aufstehen und Niederlegen auf die frisch geworfenen Ferkel legten und diese erdrückten. Es konnte auch vorkommen, daß eine Ferkelmutter ein Junges fraß. Eine solche Naturwidrigkeit ist Auswirkung der künstlichen Aufzucht von Schweinen als Fleischlieferanten. Es ereigneten sich auch schwere Geburten, bei denen es menschlicher Hilfestellung bedurfte. Jedenfalls hielt es der Landwirt für angebracht, besonders achtsam zu sein. Es wachten in fälligen Nächten im Wechsel Vater oder Mutter, Knecht oder Magd. Gern wurde zum Wochenende eines der acht Kinder mitgegeben.

Den Kindern war es eine Freude mitzuwachen, bei tiefer Dunkelheit im spärlichen Licht der Petroleumlampe in den Stall folgen zu dürfen um auf das Grunzen und Stöhnen schlafender Tiere zu hören, wenn vielleicht draußen der Steinkauz rief und drinnen ein Mäuslein piepte oder eine Ratte raschelte. Man saß im Stroh des Stalles auf mitgeführten Bänkchen und wartete. Um das Einschlafen zu verhindern, unterhielt man sich leise. Nicht immer brauchte man im Stalle zu sitzen. Wenn keine Gefahr bestand, die Stunde der Ferkel-Geburt noch nicht gekommen war, konnte der eine Wachtpartner in der warmen Stube sitzen und lesen, im Sessel schlummern oder den Kopf zum Schläfchen auf den Tisch legen. Die Wächter lösten sich einander ab. Wenn aber die Ferkel nacheinander kamen - oft dauerte das Gebären der fünf bis zwölf Ferkel stundenlang - mußte die Wache im Stalle sein, die zur Welt gekommenen Jungschweine mit Stroh abreiben und an die Mutterbrust legen. Daß die eben erst geborenen Ferkel auch ohne Führung die Mutter fanden und leise quiekend anfingen, an den Zitzen zu saugen, setzte uns immer in größte Wunderung.
An eine Ferkelgeburt, bei der Hans Hebamme spielen mußte, erinnert er sich noch recht lebhaft. Die stöhnende Sau konnte das Ferkel nicht zur Welt bringen. Die Hausgenossen konnten mit ihren Armen nicht in das Tier hineinreichen, nur einer Kinderhand würde es gelingen. Nach vielerlei Hinweisen und Versprechungen für den Kirmestag gelang es der kleinen Kinderhand zur Freude aller das Jungtier hinter den Kopf zu fassen, zu drehen, herauszuholen und so das Muttertier und das Ferkel zu retten. Der Bengel freute sich ob solcher Lebensrettung, es bedeutete etwas.

Das Schönste an der Nachtwache für die Kinder war um Mitternacht das Teilhaben am Backen und Esser eines Pfannkuchens mit Zucker. Pfannkuchen gab es nicht oft, erst recht nicht mit Zucker darauf. In der Nacht schmeckte er besonders gut. Der Gedanke an den Zuckerpfannkuchen allein half, die Müdigkeit zu überwinden und die Ferkelnacht als angenehmes Erlebnis empfinden zu lassen