Hofarchiv: Vertelsel |
Freuden beim Kuhhüten |
Auszug aus der Sammlung "Im Jugendparadies"
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Für groß und klein war es ein besonderes Ereignis, wenn das Kuhhüten auf dem Großen Bruche einsetzte. Die Kühe mußten in jedem Jahr von neuem an den Weg, der eine Strecke der Landstraße folgte, gewöhnt werden. Das erste Mal wurden die Kühe hinübergeführt. Ein Erwachsener hielt vier bis fünf Seile in der Hand. Es ging über den Sommerweg (Sommerweg war ein nicht befestigter Wegstreifen neben der Straße). Die Kinder konnten nur Treiber sein.
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Das zweite Mal wurden die Kühe frei in die Weide getrieben. Waren den
Kühen im Stall die Stricke vom Gehörn genommen, gab es ein Hallo auf
der Diele und auf dem Hofe. Auf dem Wege ging ein Mann mit einer
Buschgerte in der Hand als Führer voran und steuerte, damit sich nicht
eine Kuh vom Trupp löste. Flinke Läufer an den Straßenseiten mußten
das seitliche Abirren verhindern, vor allem dafür sorgen, daß keine
Kuh in das angrenzende Klee- oder Getreidefeld entwischte.
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In der dabei reichlich zur Verfügung stehenden Freizeit konnte man mit
anderen Hütejungen mancherlei vergnügliche Gemeinsamkeiten betreiben.
Wo der Bruch nicht zu Wiesen umgearbeitet war, bestand noch Unland mit
moorigen Wasserkölken, Heideerhebungen und Birken, Krüppelkiefern und
Wacholderbüschen. Dort war Freiland, niemand kümmerte sich darum. Wir
Jungen suchten hier nach den Nestern von Vögeln, von Kiebitzen und
Bekassinen im Moorrasen, von Hänflingen in Wacholderbüschen. Wir
zündeten Heide, Dürrgras oder Wacholderbüsche an, banden aus Binsen
Körbchen, schnitten aus Weidenzweigen oder Brustwurzstangen
Pfeifeninstrumente, badeten in Torflöchern, lagen bäuchlings auf der
Bachbrücke, um mit Würmern an hakig umgebogenen Knopfnadeln an der
Gertenangel Stichlinge zu fangen.
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Wir lagen rückwärts auf dem trockenen Bruchdamm und schauten dahineilenden
Wolken zu oder ziehenden Vögeln, sangen die in der Schule gelernten Lieder,
johlten. lasen in Büchern, lernten unsere Schulaufgaben oder balgten nach
Herzenslust. Man konnte auch noch einzelnen Torfgräbern zuschauen, wie
sie knieend ihren Torf zu Viereckstücken bereiteten (bereen) und diese
zum Trocknen aufhäuften.
An Beschäftigung fehlte es nicht. Es wurden auch wohl Blumensträußchen von Schlüsselblumen, Blütenweiderich oder Kuckuckslichtnelken, auch von den noch häufigen Knabenkräutern oder Kriechweiden für die Mutter gesammelt, die gern einen Blumenstrauß auf der Kommode hatte. Wir freuten uns, wenn wir einen Hasen auftreiben oder eine sich flügellahm stellende Birkhenne mit ihren Jungvögeln ausmachen konnten. |
Mit der Zeit ist alles anders geworden. Mit der Hüteherrlichkeit ist es
vorbei. Als das Auto aufkam, gab es zuerst wohl ein Wortgeplänkel
zwischen Autofahrern und Kuhtreibern, wenn die freigehenden schweren
Kühe nicht geneigt waren, trotz allen Tutens dem Schnellfahrer zu
weichen. Als einmal der ältere Bruder beschimpft wurde, entgegnete
dieser, sie seien zuerst auf der Landstraße gewesen. Heute geht auf
der stark befahrenen Landstraße kaum noch eine Kuh. Die Kühe sind bis in den
Spätherbst hinein Tag und Nacht auf der Weide.
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Die Weiden sind mit elektrischen Drähten umhegt. Zu den Melkzeiten
prustet der Trecker mit dem Melkmotorwagen hinaus. Die Jugend kann
sich höchstens noch an den Trecker hängen und darf beim Zusammentreiben
der Kühe auf der Melkstelle helfen, sofern diese auf den Anruf, wie es
Regel ist, nicht von selbst herankommen, um sich von der Milchlast
befreien zu lassen. Die mechanisierte Technik beherrscht und bestimmt
Lebloses und Lebendes. Um den Kiebitz und um den Stumpfwurz, wenn sie
noch vorhanden sind, kümmert sich keiner mehr.
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